Seltsame Schleifen

Neulich, Hamburg, Personenaufzug aus den sechziger Jahren. Darin hängt ein Schild, säuberlich angeschraubt, mit Vorschriften und Verboten zur sachgemässen Bedienung und Benutzung des guten Gefährts. Darunter versteckt sich auch dieser Satz:

 

„Es ist verboten, Personen in Aufzügen zu befördern, bei denen das Mitfahren von Personen verboten ist" (Punkt 6c)


Zunächst stellt sich natürlich die Frage, wie schwierig das Bedienen eines Aufzuges sein kann und wie viele Vorschriften dafür erforderlich sind. Viel interessanter dann aber dieser Satz, für sich gestellt ist er ein wahrer Rohdiamant nicht nur in semantischer sondern auch philosophischer Hinsicht. Welch wunderbare Schleife beinhaltet er! Egal, wie oft man diesen Satz liest, das Hirn kommt immer kurz ins stottern, der Hamster kommt aus dem Tritt, bevor es weitergeht.


Selbstbezüglichkeit fasziniert die Menschen schon seit langem. Bei dem Beispiel des Aufzugs oben schlittert man an einem Paradoxon gerade noch so vorbei (obwohl der Satz krankt, denn womöglich versucht er sich durch sich selbst zu definieren, was ihn irgendwo aber auch sehr menschlich macht). Paradoxer schon dieses Beispiel: Was passiert mit Pinocchio's Nase in dem Moment als dieser sagt "Meine Nase wächst"? Falls er lügt, wächst seine Nase, aber dann lügt er ja nicht.

 

Oder hier bei diesen beiden Genossen:

"Der nächste Satz ist falsch"

"Der vorhergehende Satz ist wahr"

 

Die Russelsche Antinomie beispielsweise beschäftigt sich mit der Frage, ob in einer Menge R aller Mengen, die sich selbst nicht als Element enthalten, R selbst enthalten ist...Ist sie das?

 

Warum finden wir selbstreflexive Aussagen und Systeme so faszinierend? Sicherlich einerseits, weil sie diese wunderbar seltsamen Schleifen erzeugen, die unser Gehirn lahm legen können. In der Zen Meditation werden Paradoxa, sogenannte Koans, verwendet, um dem Geist zu helfen, zur Ruhe zu kommen und wahre Erleuchtung zu erlangen. 

 

Selbstreflexivität stellt aber noch mehr mit uns an. Es öffnet ein kleines Fenster zur Erkenntnis, dass unser formal-logischer Ansatz, über Dinge nachzudenken und damit zu versuchen, unser Leben zu meistern, uns sicherlich guter Begleiter auf einem Stück des Weges ist, uns aber leider nicht ans Ziel führen kann. Da ist mehr, und je mehr wir versuchen dies mit unserem Verstand zu begreifen, umso mehr entzieht es sich uns. Wohl auch deshalb scheinen die Koans so wirksam zu sein.

 

Alles esoterischer Humbug, könnte man sagen. Wenn da nicht der Österreicher Kurt Gödel wäre. Der Gödelsche Unvollständigkeitssatz treibt die Dinge auf ihre Spitze. Er behauptet tatsächlich, dass kein System sowohl vollständig als auch widerspruchsfrei sein kann, und erhebt damit die Paradoxie zu einem Grundaxiom unseres formalen Denkens. Dieser Satz ist übrigens mittlerweile bewiesen.

 

Leute, das sind echt gute Nachrichten. Wir können aufatmen. Hier sitzen wir, Tag ein, Tag aus, und versuchen Sinn aus dem Ganzen zu machen. Versuchen die kleinen Bauklötzchen in unserem Kopf säuberlich zusammenzusetzen und in Struktur zu bringen. Und irgendwie passt immer einer nicht rein, klemmt, oder wirft die anderen um. Wir ärgern uns, fühlen uns schlecht, aber kehren die Klötzchen natürlich dann fein säuberlich zusammen und fangen wie die Danaiden mit ihren Fässern schön ordentlich wieder von vorne an. So geht dass immer weiter. Und während wir uns da abkämpfen, haben sich die schlauesten Köpfe der Menschheit bereits vor langer Zeit geeinigt - wenn's ausreichend kompliziert wird kommt man ohne Widersprüche nicht durch. Da gibt man uns Günter Netzer und TV Total, aber das verschweigt man uns! Also, in Zukunft öfter mal einen Gang rausnehmen und über Pinocchio's Reflexionen zu seiner Nase sinnieren. Oder in Hamburg Aufzug fahren.

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